Thomas Pantke | Meine Geschichte der Contax | veröffentlicht in PhotoKlassik 02/2018

 

 

Foto digital: Die Contax I im Contax-Griff gehalten von Julius

Dass das Auslösegeräusch einer Kamera anders sein könnte als das sanfte Schnacken mit Nachzischen beim Lösen des Fingers vom Auslöser einer Contax war mir seit meiner Kindheit lange nicht vorstellbar. Als Lehrling bin ich dann an der Ostsee mit samt der Contax, die ich nun geerbt hatte, ins Wasser gefallen. Der Dia-Film war noch „geworden“, die Contax nicht mehr. Weiter fotografieren musste ich mit einer Praktika. Mit dem Meyer-Domiplan daran wurden die Bilder auch irgendwie scharf, aber erst nach Blende 8.

 

Nach dem Ende der DDR fanden sich schnell alte und neue Geräte zum Fotografieren. Die vertraute Contax war auch mit dabei, wobei leise und sanft die Sehnsucht nach der Freiheit von indiskret-klappenden Spiegeln, hängenden, siebhaften Tuchverschlüssen, Werkstätten und Batterien in mir aufkeimte.

 

Dann, in einem Antiquitätengeschäft in Leipzig, sah ich sie in der geöffneten Bereitschaftstasche am Haken hängen: bildschön, sehr teuer und kaputt. Erst jetzt dämmerte mir, dass mein Vater -1956, als ich vier Jahre alt war - eine Spiegelreflex-Contax gekauft hatte. Die Contax, die hier hing, hatte auf Sicht und technisch wenig mit der Kamera meiner Kinder- und Jugendzeit zu tun. An meinem 45. Geburtstag habe ich sie mir geschenkt, in der Überzeugung: „Die kriegst´e wieder hin“. Nach dem Abheben der Bildbühne sah ich die gerissenen, grünen Bänder, an denen die Messinglamellenrollos von oben nach unten ablaufen sollten, als traurige Knäuels liegen. Ich trennte die Bänder ab, vermaß sie und ging mit der Unbekümmertheit des Unkundigen in den Bastelladen. Hier kaufte ich eine Perlenfädelnadel und 3 mm breites Zierband. Dass dieses Satinband viel zu steif und kein guter Ersatz für das seidene Ripsband ist, wusste ich damals noch nicht. Für dieses Mal sollte es gut gehen.

Foto digital: Ripsband

Hier die gerissenen, alten Seidenbänder, Op-Nadel, Perlenfädelnadel, helles Ripsband aus Rußland. Das Band auf dem Knäuel hat sich bei mir mehrfach bestens für die Contax II bewährt. Ohne Messgeräte habe ich so genügend Material zur Verfügung, eine Verschlussreparatur so oft wiederholen zu können bis auch die 1250/s stimmt.

 

Gleich dem Original nähte ich die Bänder an die beiden Federwälzchen an. Die Federspannung der Walzen mit gleichem Bandeinzug gleich auszuwiegen, war klar. Nur wieviel Spannung? Mit etwa 25cm Bandeinzug schien ich ganz richtig zu liegen. Mit Stecknadeln ließen sich die gespannten Walzen ruhig stellen. So konnte ich das Band durch die Öse des unteren Verschlussrollos durchfädeln und nach dem Durchstecken am Schlitz des oberen Rollos bei 11 cm abschneiden, umlegen und 2 Stiche links, 2 Stiche rechts und 2 Stiche nach unten mit Perlenfädelnadel und Nähseide festnähen und verknoten, so wie das 60 Jahre vorher schon einmal im Contax-Trakt des Ica-Werkes in der Glashütter Straße in Dresden gemacht wurde. Vorsorglich hatte ich den Lagern der Rädchen unter dem Verschluss einige Minitropfen Uhrenöl spendiert. Die ersten schwarz-weiß Negative mit dem 1:1,5 f=5cm Carl-Zeiss-Jena-Sonnar waren für mich eine Sensation. Ich war hellauf begeistert von den 18x24 Vergrößerungen, die ich davon ausbelichten konnte. Vor genau 21 Jahren bekam ich so den Contax-Virus. Den mir auszutreiben, ist noch keinem anderen Gerät gelungen.

 

Mit der Contax II von 1936 fand ich das mir gemäße und ideale Instrument zur fotografischen Bildfindung, wenn denn nur der Objektivdeckel und die Parallaxe nicht wären. Nicht jedes Objekt der Bildbegierde sagt einem, dass der Deckel noch drauf ist (peinlich!). Die Contax II und III ist parallaxenfrei, so steht es in der Betriebsanleitung. Das betrifft aber nur den 90cm Bereich bei der 5cm Brennweite. Für größere Entfernungen behelfe ich mir mit dickem Filzstiftstrich unten und rechts auf das Glas im Sucherausblick, denn sonst sind bei der Familie die Füße weg und viel Luft über den Köpfen. Sind die Striche ausgewischt und man vergisst die Kamera für die Ferne nach unten und in Richtung Objektiv zu drücken, sind die Füße wieder weg… Für alle anderen Brennweiten geht es ohne den in die Zubehörklemme eingeschobenen Universalsucher nicht.

Foto: Mack-Schadeberg

Angesichts der M-Überlegenheit wäre das kein Referenzfoto für die Contax, ist es aber doch. Mit dem Stellrädchen für die Entfernung war ich schneller als Jürgen Schadeberg, der hier Ulrich Mack mit seiner Leica in einer Berliner Galerie fotografiert, und konnte mehrere Aufnahmen machen, während er noch mit der rechten Hand am Objektiv drehte.

 

Einen nicht unerheblichen Teil unseres Bildgedächtnisses der dreißiger-, vierziger- und fünfziger Jahre verdanken wir der Contax. Jedoch nur bei einigen Fotografen wird die Contax in Begleittexten zu Bildern überhaupt erwähnt, wie zum Beispiel bei Walter Frentz und Robert Capa. Oft sind wir auf Fotos angewiesen, auf denen der Lichtbildner die Contax in der Hand oder umhängen hat. Bei entsprechend intensiver Forschung würden wir eine Liste von Amateuren, Berufs- und Pressefotografen zusammenbekommen, deren Bilder wir vielleicht schon kennen.

 

Ohne die Agfacolor-Bilder von Walter Frentz (1907-2004), auf denen Adolf Hitler drauf ist, kommen einige Druckmedien – nicht selten auf ihren Titeln – seit Jahren nicht aus. Von der V2-Raketenmontage durch Häftlinge bekommen wir nur von seinen Agfacolor-Dias eine bildliche Vorstellung. Seine tadellos belichteten DIA-Bilder beweisen, dass er vom Belichtungsmesser seiner Contax III stets die richtigen Werte ablesen und auf der Kamera und dem Objektiv einstellen konnte. Der Agfacolor-Film für Kunst- oder Tageslicht war ab 1938 zu belichten wie ein 15 DIN s/w Negativfilm.

 

Hat Robert Capa (1913-1954) in Paris im März 1937, beim Kauf seiner Contax II mit 1:2 f=5cm Sonnar, das Fachgespräch mit Emanuel Goldberg (1881-1970) geführt? Der von den Nazis 1933 aus Dresden verjagte Konstrukteur, Hochschullehrer und Generaldirektor der Zeiss Ikon AG Dresden war hier Leiter der Ikonta Filiale bis zu seiner Ausreise nach Palästina. Wir wissen es nicht. Stoff für eine schöne Geschichte wäre es allemal.

 

Eine einzigartige Entscheidung war, sämtliche im mexikanischen Koffer gefundenen Filme (4500 Negative) zu veröffentlichen (The Mexican Suitcase STEIDL 2010). Im zweiten Band sehen wir Filmsteifen von Gerda Taro (Leica und Contax), Chim Seymour (Leica) und Robert Capa (Contax) aus dem spanischen Bürgerkrieg (1936-39). Hier lässt sich intensiv erforschen, wie Fotostrecken entstanden, die dann als Reportagen in Illustrierten verwendet wurden. Mit seinen Bildern von der Schlacht am Rio Segre wird Capa 1938 von der Picture Post in London zum größten Kriegsfotografen der Welt gekürt. Bilder zu denken und in Serien zu fotografieren hatte er in Simon Guttmanns „Dephot“ in Berlin gelernt.

 

Am 18.April 1945 fotografiert Capa den MG-Schützen Raymond J. Bowman (1924-1945) auf einem Balkon in Leipzig. Von einer Kugel in die rechte Wange (Zeuge L.Riggs) getroffen, sinkt dieser in die Wohnung. Capa macht mehrere Fotos von dem sterbenden Soldaten mit Contax und der Rolleiflex, die ihm Life Magazine, verordnet hatte. Die trauten wohl dem Kleinbild nichts zu. Die Zeit, 14.46 Uhr, zeigt die mitfotografierte Standuhr an (Contax-Negativ Nr.30), die vergehende Zeit die größer werdende Blutlache auf dem Parkett. Am 14.Mai 1945 gehen fünf Bilder dieser Serie im Life Magazine um die Welt. Vier davon sind Contax-Bilder. 1947 nennt Capa in „Slightly Out of Focus“ diese Fotoserie „The Last Man to Die“. (Kontaktbogen in www.faz/net vom 11.04.2017)

Foto digital: Contax mit Topogon

Contax II mit Universalsucher für die fünf wichtigsten Brennweiten. Das 1:4/25mm Topogon wurde erst ab 1950 in Serie in Jena hergestellt und passt hier nicht ganz genau zur Einstellung 2,8cm auf dem älteren Sucher.

 

Zwei Jahre brauchte ich, bis sie wieder ging, und ich das lichtstarke Nickel- Sonnar, was mal alleine 300,- Reichsmark kostete, hatte: die Contax I. Sie war 1932 die Antwort der Zeiss Ikon AG Dresden auf das Leicaverfahren des Branchenneulings aus Wetzlar, dessen Patente umgangen werden mussten, weshalb dieser „Quader“ Zeiteinstellung und Aufzug in einem vorn dran hatte. Ich bin´s gewöhnt. Wechsle ich auf die Contax II, suche ich den Aufzug dann vorn vergebens. Die sensationell lichtstarken Zeiss-Sonnare für die Contax rechnete Ludwig Bertele (1901-1985) in Dresden.

 

Foto: Thomas Hoepker

In seiner Ausstellung ZEITSPRUNG 2012 in Leipzig kam Thomas Hoepker auf mich zu und fragte: Na, wie alt ist denn diese Contax? Ich: Von 1934. Er: Ah, dann ist sie ja älter als ich. Dem Magnum-Präsidenten (2003-2007) habe ich von unserer „Initiative zur Rettung des Capa-Hauses“ in Leipzig-Lindenau erzählt und dabei – als er vor mir saß – das Foto gemacht. Nach dem Finden der Schärfe auf sein Auge wechselte ich zum Sucher. Dabei muss ich mich auf ihn zu bewegt haben. Die Schärfe wanderte ganz leicht nach vorn, gerade noch am Kinn wahrnehmbar. Das 1,5/ 5cm Sonnar hat bei offener Blende bei 90cm Motivabstand kaum noch Tiefenschärfe, die diesen geringen Distanzfehler hätte ausgleichen können. Über die langen Streifen auf dem Foto -hier als Beispiel nicht retuschiert – könnte ich mich schwarz ärgern, weil ich den Film hätte in der Dunkelkammer entnehmen müssen. Stattdessen habe ich ihn später, als der Film außer Haus exponiert war, in der Kamera zurückwickeln müssen. Der Film wird dabei in der Contax I über die Zahnwalzen gehoben und mehr oder minder verschrammt. Der Konstrukteur der Kamera, Heinz Küppenbender (1902-1985), wird sich wohl dabei gedacht haben: der richtige Contax-Fotograf hat ja zwei Contax-Kassetten in der Kamera, und da wird nicht zurückgespult.

 

Als Neukonstruktion von Hubert Nerwin (1906-1983) erschien 1936 die Contax II (Contax III mit Belichtungsmesser) zeitgemäß matt verchromt . Das war die erste Messsucherkamera der Welt. Hier drückt man sofort auf den Auslöser, wenn der Mischbildentfernungsmesser (Basis 10cm) die Übereinstimmung des eingespiegelten Bildes mit dem Bild des Suchers zeigt. Der erste Starauftritt der Contax II mit dem neuen 1:2,8 f=18cm Sonnar waren die olympischen Spiele in Berlin.

 

Was 1945 die Bomben auf Dresden von Maschinen und Teilen übrig ließen, nahmen die Russen, mit in die Ukraine. Hier wurde die Contax als Kiev weiter gebaut. Der Probelauf dafür fand bei Carl Zeiss Jena statt. Diese Contax-Jena gab es um 1949 herum auf Bezugsschein für Fotografen, Fotojournalisten und Studenten der Fotografik der Hochschule für Grafik und Buchkunst bei Foto-Knoll in der Burgstraße in Leipzig zu kaufen, nebst den gängigen Objektiven und dafür passenden Aufstecksuchern.

 

Die eingangs erwähnte Contax als echte einäugige Spiegelreflexkamera, neu konstruiert und 1949 vorgestellt von Wilhelm Winzenburg, wird Vorbild für alle Kleinbild-Spiegelreflexkameras weltweit.

 

Die ab 1949 im Contessa-Werk (Zeiss Ikon AG) in Stuttgart gebaute, etwas kleinere Neukonstruktion Contax IIa (mit Belichtungsmesser IIIa) verliert ihre Alleinstellung als Messsucherkamera erst an die Nikon und 1954 an die M-Leica, bevor sie 1962 ganz vom Markt verschwindet. Das nun sehr klein werdende Segment des Messsuchersystems in Kleinbildkameras besetzt bald fast vollständig die Leica bis heute.

Foto: Capa-Haus

Erst 2012 konnte mit Hilfe der Bauzeichnungen ermittelt werden, wo genau Capa fotografiert hat.

 

Niemand konnte ahnen, dass die Balkone vor Jahren abgerissen worden waren.

 

Mein Foto zeigt das Haus 2012, als es noch vom Abriss bedroht war. Es entstand mit dem 4/13,5cm Sonnar aus jener Richtung, aus der der tödliche Schuss gekommen sein könnte. Die halb vermauerte Balkontür, in der der Sterbende lag, ist markiert. Durch Veranstaltungen, Presse, TV-Sendungen und nächtliche Riesenplakataktionen wurde von der „Bürgerinitiative zur Rettung des Capa-Hauses“ erreicht, dass das Haus erhalten blieb und ein Investor gefunden wurde.

 

 Foto: Capa-Austellung

Mit dem 1:4 f=25mm Topogon fotografierte ich 2016 meinen Sohn Julius, wie er gerade das Zeitzeugenvideo in der Ausstellung anschaut. Der Monitor steht auf jenem Schreibtisch, der auch auf einem Capa-Foto zu sehen ist. Im Gegenlicht des Fensters sehen wir oben Bilder aus dem Leben Robert Capas, eines als er noch Andrè Friedmann hieß, daneben Gerda Taro mit Leica. Der Stuhl in der Vitrine ist auf allen Fotos mit dem Sterbenden zu sehen. In den Rahmen links sind Fotos, die im und vor dem Haus gemacht wurden, und am Tag darauf in der Innenstadt von Leipzig. Ganz links oben auf dem Brett stehen Contax und Rolleiflex als Leihgabe von mir.

 

Mit dem wiederhergestellten Häuserensemble und den Gebäuden gegenüber, die auf einigen Capa-Fotografien im Hintergrund zu sehen sind, und den Erkenntnissen der letzten Jahre, ist so ein Ort der Fotografie für die Fotografie entstanden, der in der Welt seinesgleichen sucht.

Foto: Verbrüderung

Als das Capa-Haus in der Jahnallee 61 in Leipzig Lindenau saniert war, zog im Erdgeschoss das Café Eigler ein. In einem Raum des Cafés befindet sich unser kleines Capa-Museum. Am 17.04.2016 wurde diese Ausstellung festlich eröffnet. Ich hatte das 1,5/5cm Sonnar an der Contax II. Unter der noch verhüllten Gedenktafel kam es zur sehr emotionalen Wiederbegegnung der Kriegsveteranen Franz Caspari (1921-2017) aus Leipzig und Lehman Riggs (geb.1920), aus Coocville/ Tennesee. Beide sind sich 2012 schon einmal begegnet und nannten sich Brüder. Caspari sollte als Wehrmachtssoldat Leipzig verteidigen. Riggs gehörte damals zum US MG-Trupp, der den Vormarsch über die Zeppelinbrücke sichern sollte. Er gab dem bislang anonymen Toten 2011 seinen Namen zurück.

 

 

Lehman Riggs feierte am 17.01.2020 seinen 100. Geburtstag.

Foto: Merkel

Urlaub von der Contax? Voriges Jahr im August an der Ostsee habe ich es ja versucht, aber dann hing sie doch wieder an mir oder ich an ihr. Mit dem versenkbaren 2/5cm Sonnar lässt sich die Contax, geschützt vor Regen und Flugsand am „Hohen Ufer“, leicht unterm Mantel tragen. Dass Angela Merkel die „Lange Nacht der Kunst“ in Ahrenshoop eröffnen wird, habe ich erst vor Ort erfahren. Als sie am 19.08.2017, 15.30 Uhr, die Bühne stürmt, entstand nebenstehendes Foto. Bei ihrer Rede würdigte sie den kleinen Zettel in ihrer Hand keines Blickes. Eine Fachsimpelei danach über die optisch-physikalische Problematik der Contax ergab sich leider nicht.

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